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1957 - Zusammenschluss mit Neumark/Start der Beschulung

"1957 wird dem Fachkrankenhaus Rodewisch das ehemalige Tuberkulose-Kurheim Neumark angegliedert, wobei dieses von vornherein zur Aufnahme von psychisch kranken Kindern vorgesehen ist.

In der Außenstelle Neumark werden vorwiegend bildungsunfähige, aber erziehungsfähige Kinder untergebracht, die sowohl von Krankenschwestern als auch heilpädagogischen Kindergärtnerinnen betreut werden. Ursprünglich ist die Einstellung eines Psychologen als Leiter dieser Abteilung geplant, der gleichzeitig eine Erziehungsberatungsstelle für den Kreis Reichenbach leiten soll. Da das Projekt scheitert, versorgen in der Folgezeit Mitarbeiter des Fachkrankenhauses Rodewisch die Außenstelle Neumark." (aus: "Die Geschichte der gelben Häuser"; Rank/Eisenschmidt)

Das Leitmotiv wandelte sich auch in der Kinderpsychiatrie in dieser Zeit vom Verwahrprinzip zur aktiven Fachbehandlung. Im Jahr 1958 nimmt eine Fachärztin für Kinderpsychiatrie ihre Arbeit in Rodewisch auf.

Mit ihrem Vorhaben, den jungen Patienten Bildung zu vermitteln, betreten die auf Station tätigen Erzieherinnen und später auch die Sonderschullehrer Neuland. Gertraude Gottschald, leitende Erzieherin von 1959 bis 1990, schilderte: „Unsere Pläne erarbeiteten wir uns selbst. Dabei orientierten wir uns an den pädagogischen Vorgaben für Kindergärten und -krippen sowie die Vorschulerziehung. Unser Lernmaterial bezogen wir größtenteils über den Verlag „Volk und Wissen“ in Leipzig.“ Von wegen Mangelwirtschaft: „Bei unserem Umzug nach Bad Reiboldsgrün hatten wir bereits 50 Kartons voll mit Material angeschafft“ gibt Gertraude Gottschald zu.

In einer Gruppe waren ca. 12 bis 15 Kinder. Betreut wurden in der Kinderpsychiatrie in Rodewisch Patienten im Alter von 3 bis 14 Jahren. Ein weiteres Krankenhaus im Bezirk Karl-Marx-Stadt übernahm die Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren. Die Plätze waren sehr begehrt.

Die Kinder waren meist dauerhaft im Krankenhaus untergebracht. Bei einigen wenigen zeigte die gezielte Förderung so großen Erfolg, dass eine Beschulung in einer Hilfsschule und damit die Unterbringung zu Hause oder im Kinderheim möglich waren. Kontakt zu den Eltern bestand kaum. Eingekleidet wurden die Kinder z. B. auch durch die Frauen in der Arbeitstherapie.

Ab 1957

"Im Gebäude B10 gab es ein Schulzimmer, dort wurden kleine Kindergruppen von zwei Sonderschullehrern individuell gefördert, z. B. zwei gehörlose Mädchen." (aus: "Die Geschichte der gelben Häuser"; Rank/Eisenschmidt)

Die beiden Sonderschullehrer Fischer und Ebert waren die ersten, die versuchten, den jungen Patienten Wissen im Sinne schulischer Bildung zu vermitteln.

Die beiden Lehrkräfte waren Mitarbeiter der Rodewischer Hilfsschule.

Seit 1936 erfolgte die Beschulung an der Volksschule in Rodewisch in drei Abteilungen: A) Schüler mit höherem, B) Schüler mit normalem Leistungsvermögen und C) Schüler mit Förderbedarf. Die Schüler mit Förderbedarf wurden erst in einer separaten Klasse an der Volksschule, später in einer Hilfsschulklasse an der Pestalozzischule unterrichtet. „Im Jahr 1951 griff man die Idee zur Einführung einer Sonderschule wieder auf. Acht Lehrkräfte unterrichteten zunächst in der Schillerschule so genannte „Sonderschüler“ aus dem Kreisgebiet. Nachdem die SDAG Wismut das Gebäude an der Uferstraße frei gezogen hatte, wurde es ab 1958 als Sonderschulgebäude für Lernbehinderte genutzt. In den 90er Jahren verlegte man die Schule nach Auerbach." (Siegfried Walther: "Rodewisch im Wandel der Zeit")

Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die DDR war noch nicht gegründet, war man sich der gesellschaftlichen Aufgabe bewusst, den geistig behinderten jungen Menschen bestmögliche Bildung und damit eine Perspektive geben zu müssen. Nach Jahren der Diskriminierung sollte ein Bildungswesen aufgebaut werden, welches den Kindern und Jugendlichen gerecht wird.
Sebastian Barsch schreibt 2007 in seiner Dissertation zum Thema Bildung in „Geistig behinderte Menschen in der DDR“:

"Auf dem schon erwähnten II. Pädagogischen Kongress 1947 in Leipzig referierte Paul Wandel, der Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, über die gesellschaftliche Verpflichtung zum Aufbau des Sonderschulwesens: »Diese Erwägungen bestehen darin, daß wir uns nachdrücklich von der nazistischen Mißachtung dieser so schwer vom Schicksal Betroffenen abwenden müssen. Die Meisterung gerade dieser Aufgabe erschien uns insofern auch als ein Beweis für die Aufrichtigkeit und Realität unseres neuen Humanismus« (zit. Nach BECKER 1979, 14). Auf dem Kongress wurde darüber hinaus ein Beschluss gefasst, der das Recht auf Bildung konkretisieren und sichern sollte:

  1. Um das in §1 des Gesetzes zur Demokratisierung der deutschen Schule und im Erziehungsprogramm ausgesprochene Erziehungsrecht aller bildungs- und erziehungsfähigen Kinder auch für mindersinnige (blinde und taube), sinnesschwache (sehschwache und schwerhörige), sprachgestörte (stotternde, stammelnde u. a.), körperbehinderte (Krüppel), schwachsinnige und schwererziehbare Kinder zu verwirklichen und die Ziele und Aufgaben der deutschen Schule auch ihnen zu erfüllen, sind Sonderschulen nötig. Diese müssen nach Aufbau, Verfahren, Lehrplänen und Lehrmitteln der Eigenart obiger Kinder Rechnung tragen, in ausreichender Zahl vorhanden sein und entsprechend ausgebildete Lehrer haben.
  2. Das Sonderschulwesen in den einzelnen Ländern ist noch nicht nach einheitlichen Gesichtspunkten ausgebaut. Das betrifft besonders das Hilfsschulwesen. Deshalb wurden Richtlinien für den Auf- und Ausbau der Sonderschulwesens aufgestellt.
  3. Folgende Aufgaben sind als vordringlich bezeichnet worden:
    1. die Ausbildung der Lehrkräfte an Sonderschulen;
    2. das Ausleseverfahren für hilfsschulbedürftige Kinder;
    3. Aufstellung von Lehr- und Stoffplänen, die der Eigenart der Sonderschulkinder Rechnung tragen
    4. Schaffung von Lehr- und Lernmitteln"

1951 wurde durch das Ministerium für Volksbildung das Schulpflichtgesetz beschlossen, welches in §6 zum Ziel setzt „auch Kindern mit wesentlichen physischen und psychischen Mängeln“ eine bestmögliche Bildung angedeihen zu lassen, um sie „als leistungsfähige Glieder in die Gemeinschaft“ einzubinden.

In Sachsen gab es bereits 1945 wieder Lehrpläne für die Hilfsschulen. Man orientierte sich bei deren Ausgestaltung am Wissenstand der Weimarer Republik. Lehrmethoden und Materialien wurden anfangs aus dieser Zeit entlehnt und später weiterentwickelt.

Am 01.09.1951 erschien der erste Lehrplan, der für die gesamte DDR gültig war.

1961

Dr. Rose-Marie Kummer, die erste für den Bereich der Kinderpsychiatrie ausgebildete Ärztin welche in Rodewisch tätig wurde, beschreibt in einem Fachbeitrag für die Zeitschrift „Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie“ das Vorgehen bei der Förderung ihrer jungen Patienten:

„Als Zielsetzung der Erziehung und Behandlung muss gelten, diese Kinder in bestmöglicher Weise zu rehabilitieren. Dies kann heißen, sie dem Leben außerhalb der Anstalt in gebessertem sozialisiertem Zustand wieder zuzuführen, sie so zu erziehen, dass sie Anschluss an eine Familie, ein Heim, einen Schulverband oder an das Berufsleben bekommen. […] Neben der medizinischen Behandlung der kindlichen Patienten ist es auch nötig, sie zu erziehen und zu fördern. Voraussetzung dafür ist die genaue Differenzierung des Kindermaterials, wie schon bei der Besprechung der Diagnostik angedeutet wurde und die Einteilung der Kinder in möglichst homogene Gruppen. […] Wir differenzieren die Kinder bezüglich des Intelligenzalters und ihrer Prognose. Dabei gingen wir von dem Grundsatz aus, Kinder gleicher Intelligenzstufe zusammenzufassen. Ist ein Kind zu intelligent für seine Gruppe, so entwickelt es sich rückläufig, ist es intellektuell zu tiefstehend, so stört es seine Gruppe und hindert ihren Fortschritt. […] Alle Kinder, soweit sie fähig waren, wurden in unserer Einrichtung durch einen Hilfsschullehrer beschult.“

Die noch junge DDR will es sich nicht leisten, menschliche Ressourcen zu verschenken. Dies beschreibt das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (der DDR) vom 25. Februar 1965“ im Abschnitt 3 – Sonderschulen – sehr deutlich:

„3. Abschnitt.
Sonderschulen

§ 19. (1) Die Sonderschulen und andere sonderpädagogischen Einrichtungen - nachstehend Sonderschulen genannt - haben die Bildung und Erziehung aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit wesentlichen physischen oder psychischen Schädigungen zu gewährleisten. Die Sonderschulen erfassen in entsprechenden Einrichtungen Schwerhörige und Gehörlose, Sehschwache und Blinde, Sprach- und Stimmgestörte, schulbildungsfähige Schwachsinnige, dauernd Körperbehinderte, wesentlich Verhaltensgestörte und für längere Zeit erkrankte bzw. in Einrichtungen des Gesundheitswesens stationär behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche.

(2) Die Sonderschulen haben den Bildungs- und Erziehungsprozeß inhaltlich, organisatorisch und methodisch so zu gestalten, daß auch die geschädigten Kinder und Jugendlichen das sozialistische Bildungs- und Erziehungsziel vollständig oder nach den durch die physischen und psychischen Schädigungen verbliebenen Möglichkeiten erreichen. Die Schüler sollen befähigt werden, entsprechend der erreichten Qualifikation nach Maßgabe ihrer Kräfte in der sozialistischen Gesellschaft zu wirken und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Für die berufliche Aus- und Weiterbildung geschädigter Erwachsener sind erforderlichenfalls sonderpädagogische Maßnahmen zu sichern.

(3) In den einzelnen Sonderschulen sind die Bildungsstufen so aufeinander abzustimmen, daß unter Umständen ein Übergang aus sonderpädagogischen in allgemeine Bildungseinrichtungen erfolgen kann. Die Sonderschulen sind nach pädagogischen und medizinischen Grundsätzen zu differenzieren.

(4) Für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche, die nach Entscheidung der örtlichen Organe des Gesundheitswesens und für Volksbildung keine örtliche Schule besuchen können, sind sonderpädagogische Maßnahmen einzuleiten.

(5) Das Ministerium für Volksbildung gewährleistet in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheitswesen die Bildung und Erziehung der physisch bzw. psychisch Geschädigten. Dazu gehört eine systematische Früherfassung der Geschädigten.

(6) Schüler und Absolventen aus Sonderschulen können eine Berufsausbildung oder eine Ausbildung auf einem Teilgebiet eines Berufes erhalten.“

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